Kampf gegen die Mafia 2.0
„Die Veränderung des organisierten Verbrechens in Zeiten der Globalisierung“
Am Montag, den 29. Mai war Herr Dott. Roberto Scarpinato, leitender Oberstaatsanwalt des Anti-Mafia-Pools in Palermo, zu Gast an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg.
In seinem Vortrag, der auf Italienisch mit konsekutiver deutscher Übersetzung (Frau dott.ssa Gabriella Dondolini) gehalten wurde, setzte sich Scarpinato mit der Veränderung und Internationalisierung der Mafia auseinander, die mittlerweile global agiert und auch in Bereiche der legalen Wirtschaft eingedrungen ist. Er beleuchtete die Eigenschaften und die Rolle dieses neuen organisierten Verbrechens, das weniger Gewalt anwendet – und deswegen auch als „stille Mafia“ bezeichnet werden kann -, aber als „dunkles Herz“ der Wirtschaft nicht weniger gefährlich und besorgnis
erregend ist. Scarpinato referierte außerdem über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, sowie über die Notwendigkeit der Modernisierung der Antimafia.
Roberto Scarpinato, der 1952 in Caltanissetta, Sizilien, geboren wurde, arbeitete nach seinem Jurastudium im Anti-Mafia-Pool zusammen mit Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die beide 1992 von der Mafia ermordet wurden. Er bereitete u.a. die Anklagen für die Strafprozesse um die Ermordung des Europarlamentsmitgliedes Salvo Lima und des Präsidenten der Region Siziliens, Piersanti Mattarella, vor. Als führende Persönlichkeit im Kampf gegen die Mafia steht Scarpinato seit 1989 unter ständigem Personenschutz.
In seiner Abhandlung „Il ritorno del principe“ (2008 erschienen) offenbart er die verborgenen Mechanismen, die sich im Hintergrund der politischen Macht abspielen und die Gesetze zu ihren Interessen zu beugen versuchen.
Organisiert wurde der Vortrag durch die italienische Abteilung des Sprachenzentrums der FAU in Zusammenarbeit mit dem Lektorat für Italienisch des Sprachenzentrums der Universität Bamberg sowie des Mosaico Italiano e.V.
Ein Leben für den Kampf gegen das „schwarze Herz der Wirtschaft“
Im Rahmen einer Zusammenarbeit der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Bamberg war der Oberstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs von Palermo, Roberto Scarpinato, am 29. Mai 2017 in Erlangen zu Gast. Bei ihm acht Beamte der bayerischen Polizei. Denn Scarpinato steht seit Jahrzehnten rund um die Uhr unter Polizeischutz. Und in der Tat stellte sich der 65-Jährige als “Überlebender” vor, der noch immer am Leben sei, auch wenn bereits zahlreiche Menschen im Kampf gegen die Mafia ihr Leben lassen mussten. Durch seine Arbeit könne er kein normales Leben führen, selbst ein spontaner Spaziergang durch die Straßen von Palermo sei ihm nicht möglich!
Scarpinato sprach über die Internationalisierung der Mafia im dritten Jahrtausend unter dem Titel „Die Transformation der organisierten Kriminalität im Zeitalter der Globalisierung“. Er wurde vom italienischen Generalkonsul, von Vertreter der Stadt Erlangen und natürlich von den Veranstalter*innen begrüßt.
Einige hundert Interessierte hatten den Weg in den Hörsaal der Universität gefunden, trotz des heißen Sommertages, an dem in Erlangen mehr als 35 Grad im Schatten herrschten: Ein Umstand, der die große Faszination zeigt, welche die Mafia ausübt – auch heute noch, in einem Land wie Deutschland, das (auf den ersten Blick) nicht allzu sehr in deren Machenschaften verwickelt zu sein scheint. Doch Scarpinato stellte schnell klar: Die Mafia ist längst nicht mehr bloß ein Problem Siziliens oder Italiens, wie vielleicht in vergangenen Tagen, sondern sie betrifft auch bereits das täglichen Leben anderer demokratischer Nationen, hat sie „wie ein Virus“ befallen.
Dem Oberstaatsanwalt zufolge habe die heutige Mafia im Vergleich zur traditionellen Mafia eine Veränderung vollzogen. Entscheidende internationale Ereignisse, wie die Globalisierung oder die Einführung des Euros, führten dazu, dass nunmehr nur noch ein einziger Markt für Waren existiert, und zwar sowohl für legale als auch für illegale, die „wie unterschiedliche Flüsse letzten Endes in dasselbe Meer fließen und sich vermischen.“ Dabei spielt der Ursprung der Gelder für die Staaten im Normalfall keine Rolle – eine politische Ignoranz, aufgrund derer das juristische System vieler europäischer Staaten dem Kampf gegen die Mafia nicht gewachsen sei. Denn während vielerorts die Devise „in dubio pro reo“, die Unschuldsvermutung, immer gilt, liegt in Italien bei Mafiaprozessen die Beweislast beim Angeklagten – er muss nachweisen können, in keine kriminellen Machenschaften verwickelt zu sein.
Die moderne Mafia muss längst nicht mehr zwangsläufig Gewalt ausüben, um mächtig zu sein, und sie verdient ihr Geld nicht mehr nur durch Prostitution oder Drogenhandel. Es seien stattdessen gerade auch die „normalen Bürger“, welche die Mafia unterstützen – natürlich ohne es zu wollen, etwa durch den Kauf von gefälschten Waren oder von Tabak. Die heutige organisierte Kriminalität ist das „unsichtbaren Verbrechen“ und Scarpinato nannte es „das schwarze Herz der Wirtschaft“, eine Schattenseite zwar, die dennoch einen „bedeutenden Teil“ der Wirtschaftsleistung ausmache.
Am Ende seines Gastvortrags hatten die Zuhörer die Gelegenheit, dem Staatsanwalt Fragen zu stellen. Er gab den interessierten Zuhörern einen Rat mit auf den Weg, der (nicht nur) für den Kampf gegen die Mafia von Bedeutung ist: Jeder Einzelne solle kämpfen für eine Welt, die sich mehr für Werte interessiert als für Waren. (Anja Sackenreuther und Denise Reinig)